Zündstoffthema Chatkontroll-Gesetz: Wo beginnt die Massenüberwachung?
Kinderpornographie ist ein schweres Verbrechen, gegen das unbedingt alles Menschenmögliche unternommen werden sollte. So viel ist klar. Somit ist die Zielsetzung des neuen Vorstoßes der EU-Kommission, die Bekämpfung voranzutreiben, natürlich grundsätzlich die richtige. Doch die Idee des geplanten sogenannten Chatkontrollgesetzes wirft Fragen auf. Das Gesetz sieht unter anderem eine automatisierte Durchsuchung von Inhalten auf Computern, Tablets oder Smartphones vor: Chats in Messenger-Diensten könnten dann mit einem automatischen Verfahren und ohne jeden konkreten Verdacht durchsucht werden.
Ob und wie das Gesetzesvorhaben Wirklichkeit wird, soll zunächst in den Händen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten liegen, die das Vorhaben nun kommentieren und beurteilen können. Doch neben dem Thema Datenschutz scheint auch das Thema Verantwortlichkeiten Unklarheiten zu bergen. Bisher ist nämlich nicht geklärt, wie die automatisiert gefundenen Daten ausgewertet werden sollen, wobei sich abzeichnet, dass dieses Vorgehen den Unternehmen, welche die Messenger anbieten, selbst überlassen wird. Und obwohl das unter technischen Aspekten sinnvoll wäre, erlaubt diese Überantwortung dem Gesetzgeber gleichzeitig auch, sich selbst der Kritik zu entziehen.
Recht auf Anonymität in Gefahr: Selbst Kinderschutzbund findet Vorhaben unverhältnismäßig
Und Kritik kommt von allen Seiten. Sogar der Kinderschutzbund findet das angedachte Gesetz unverhältnismäßig und nennt dafür einen einleuchtenden Grund: Kinderpornographie wird in den meisten Fällen nicht über Messenger-Dienste geteilt. Der FDB-Europaabgeordnete Moritz Körner nennt die mögliche Verabschiedung des Chatkontroll-Gesetzes gar eine "noch nie dagewesene Verletzung unserer Privatsphäre", für die Kinderpornographie nicht als Vorwand verwendet werden dürfe.
Tatsächlich liegt die Vermutung nahe, dass das Gesetz, welches nach aktuellem Kenntnisstand durchaus einer Überwachung in großem Stil gleichkäme, dem eigentlichen Ziel nicht im Ansatz gerecht werden könnte. Denn die kriminellen Inhalte lassen sich ohne Weiteres auch ohne Messenger-Dienste oder andere Chats verbreiten, welche von der EU nicht kontrolliert werden – etwa verschlüsselten Netzwerken außerhalb der EU. Auf diesen liegt mutmaßlich der Großteil der kritischen Videos. Und was also einerseits das Thema verfehlen würde, weicht gleichzeitig das Recht auf Privatsphäre auf. Eine De facto-Aufhebung des Rechts auf Anonymität durch Altersverifikationen könnte obendrein zum Kollateralschaden des Vorhabens werden.
Fazit: Generalverdacht für alle, die Signal, WhatsApp, Telegram und Co. nutzen?
Als Nutzender von Facebook, Instagram oder gängiger Messenger Services von Signal bis WhatsApp stünde man auf Basis des Gesetzes fortan unter Generalverdacht. Staatliche Ermittlungsinstitutionen würden Seite an Seite mit den Social Networks und Messenger-Betreibern in einem fragwürdigen Bündnis Daten auswerten, wobei der Erfolg des von der EU geplanten Zentrums für zuverlässige Erkennung vollkommen unklar ist. Zwar würde man die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung laut dem Vorhaben erst dann aufheben, wenn sich ein Verdacht erhärtet, doch das schließt eine fragliche Zahl von Fehlalarmen nicht aus.
Alles in allem würde das Chatkontrollgesetz also nichts Geringeres als eine Gefährdung von Grundrechten bedeuten, getarnt als eigentlich gute Sache: Den Kampf gegen Kinderpornographie. Irritierend dabei ist, dass der Plan in einem eklatanten Missverhältnis zu der Kritik von EU-Seite an autokratischen Verhältnissen mit Überwachungskomponente, zum Beispiel in China, steht. Und auch wenn es sich bisher um einen Entwurf handelt, der in der vorgeschlagenen Form nicht in Gänze Wirklichkeit werden muss, ist die Bereitschaft der Politik, Grundrecht zu verkaufen, beunruhigend. Es bleibt daher zu hoffen, dass sich ausreichend Datenschützende und andere wichtige Stimmen gegen das Gesetz oder wenigstens für eine Anpassung aussprechen.
Beitragsbild: Christian Wiediger via Unsplash | Unsplash-Lizenz
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